Die ältesten Lindenfelser Stadtsiegel
Obwohl Lindenfels die viertälteste Stadt des heutigen Kreises Bergstrasse ist und Jahrzehnte vor Neckarsteinach und Hirschhorn Stadtrechte erhalten hat, ist es doch die einzige mittelalterliche Stadt dieses Raumes, für die kein Stadtsiegel vor dem 16. Jahrhundert nachweisen lässt. Das hängt möglicherweise mit den großen Quellenverlusten zusammen, die das kurpfälzische Gebiet in der Neuzeit erlitten hat. Wenn auch Lindenfels zu den Zwergstädten gehörte, hatte es doch schon früh ein städtisches Gericht und offenbar auch einen Stadtrat, die wohl kaum ohne eigenes Siegel ausgekommen sind. Solange wir aber nicht einmal die Ankündigung einer Besiegelung durch die Stadt nachweisen können, müssen wir davon ausgehen, dass ein mittelalterliches Stadtsiegel nicht (zumindest heute nicht mehr) existierte.
In der Literatur gibt es eine Reihe von Hinweisen auf die ersten Lindenfelser Stadtsiegel.
Carl Friedrich Günther hat in seiner Abhandlung über „Die Wappen der Städte des Großherzogthums Hessen“ (1842) nur das Siegel von 1720 berücksichtigt. Marchand beschreibt in seinem 1858 erschienen Büchlein „Lindenfels. Ein Beitrag zur Ortsgeschichte des Großherzogtums Hessen“ auch ein älteres Siegel mit einer lateinischen Umschrift. Allerdings hat er die Umschrift nicht ganz richtig entziffert, so dass er wie auch alle späteren Autoren statt IN LINDENFELS fälschlich DE LINDENFELS schreibt.
Clemens Kissel (Hessisches Wappenbuch, Städte und Ortswappen im Großherzogtum Hessen 1893) bildet ebenfalls das Siegel von 1720 ab, folgt also Günther, ohne die Arbeit von Marchand zu kennen.
Walter H. Damman (Die Kunstdenkmäler des Kreises Bensheim 1914) nennt zwar nur das Siegel von 1720 (das er fälschlich als “Wappen“ bezeichnet), bringt aber dazu aus Versehen das davor geführte Siegel mit der offenbar von Marchand übernommenen inkorrekten Umschrift als Abbildung.
Im Hessischen Ortswappenbuch von Demandt und Renkhoff (1956) wird das Wappen beschrieben und auch auf die ältere Wappen- und Siegelentwicklung eingegangen. Darin heißt es u.a, das von Damman in den Kunstdenkmälern abgebildete und auf 1720 datierte Siegel müsse aus „stilistischen Gründen …. älter sein“.
Klemens Stadler (Die Gemeindewappen des Landes Hessen 1967) schreibt: “Das erste bekannte Siegel stammt … erst aus dem 16. Jahrhundert“, damit bietet er als einziger die richtige Datierung.
Im Staatsarchiv Darmstadt, in dessen Abteilung A 1 (Urkunden Starkenburg) befinden sich unter dem Ort Lindenfels mehrere Huldigungsreverse, die die Stadt Lindenfels ihren Landesherren, den Pfalzgrafen, übergeben hat. Gleich die erste dieser Urkunden, am 18. März 1559 von Bürgermeister, Rat, Bürgern und Gemeinde zu Lindenfels für Kurfürst Friedrich ausgestellt, ist mit dem Stadtsiegel besiegelt. Das Siegel zeigt die typische Kombination der Linde mit dem pfalz-bayerischen Wappen das im Hessischen Ortswappenbuch als „pfalz-bayerischer gevierter Schild an einer Linde“ beschrieben wird. Stadler sagt: „an der für den Ortsnamen redenden Linde hängt der gevierte pfalz-bayerische Schild mit Löwen und Rauten als Hinweis auf die Landeshoheit der Kurpfalz seit 1227.“ Es versteht sich von selbst, dass dabei die Linde nicht in ihrer natürlichen Form, sondern stilisiert dargestellt ist mit einer dreiteiligen Wurzel und einem zweiteiligen Lindenzweig zu je sechs Blättern. Das Zwischenstück wird durch den Wappenschild verdeckt.
Das älteste Siegel hat einen Durchmesser von 3,5 cm und eine Umschrift „S´OPIDIINLINDENFELS“. Das S´ wäre mit SIGILLUM aufzulösen. “Siegel der Stadt zu Lindenfels“ lautete die Umschrift auf Deutsch. Dieses Siegel ist nach seinen Stilmerkmalen sicherlich nicht sehr viel älter als der erste bekannte Abdruck von 1559 vielleicht hat man den Stempel hierzu nach dem verheerenden Stadtbrand von 1547, der auch das Rathaus in Mitleidenschaft zog, schneiden lassen.
Noch im 16. Jahrhundert hat sich die Stadt einen zweiten, etwas kleineren, ansonsten aber dem ersten sehr ähnlichen Siegelstempel anfertigen lassen. Bei diesem zweiten Siegel handelt es sich um dasjenige, das bereits Marchand abgebildet hat. Da man dann aus Versehen zum Jahr 1720 stellte und Demandt und Renkhoff als stilistisch älter erkannt haben. Bei einem Durchmesser von 2,9 cm weist das Siegel denselben Umschrifttext auf wie das älteste allerdings in etwas anderer Schrift.
Ähnlich geringfügig aber doch klar erkennbar sind die Nuancen des dritten zumindest bis zum Ende der kurpfälzischen Zeit (1802-3) geführten Stadtsiegels , das, wie die Umschrift besagt, im Jahre 1720 in Gebrauch genommen wurde. Es weist einen Durchmesser von 3,9 cm und ein den beiden vorigen Siegeln sehr ähnlichen Wappen auf. Die Umschrift lautet: LINDENFELSERSTADTINSIGEL 1720. Es ist u.a. in mehreren Exemplaren in der Ortssiegelsammlung des Darmstädter Staatsarchivs, außerdem in der Darmstädter Abschriftensammlung der Stadtprivilegien von 1771 überliefert und bei Günther und Kissel abgebildet. Bald nach dem Anfall von Lindenfels an Hessen-Darmstadt wurde das kurpfälzische Siegel durch ein neues (mit dem hessischen Löwen) ersetzt.
Siegel und Wappen sind nicht dasselbe, sie stehen aber oft in enger Verbindung. Zueinander. In der Einleitung zum Hessischen Ortswappenbuch wird der Unterschied folgendermaßen charakterisiert „… beide [sind] … Hoheitszeichen, das Siegen aber in erster Linie als Beglaubigungs- und Beweismittel und das Wappen vor allem als Eigentums-, Kenn- und Sichtzeichen. Es ist also selbstverständlich, dass Wappen und Siegel ihren verschiedenen Verwendungszwecken entsprechend auch verschieden gestaltet sein mussten. Die Aufgabe der mittelalterlichen Siegel als Beglaubigungs- und Beweismittel, das in der täglichen Praxis vor allem zur Sicherung beurkundeter Rechtsgeschäfte diente, forderte geradezu ein kompliziertes, die Nachahmung erschwerendes Bild. Umgekehrt mussten die Wappen als Kennzeichen der städtischen Waffen, Kriegsgeräte und Mannschaften, der amtlichen Gebäude, Gemarkungsgrenzen und Maße notwendigerweise einfach und klar sein….“
Wen also Lindenfels das kurpfälzische Wappen mit dem eigenen Namenssymbol, der Linde kombinierte, so wird man vermuten dürfen, dass die Kurfürsten die Genehmigung zur Führung erteilt haben. Dabei ist es möglich und sogar wahrscheinlich, dass die Stadt ursprünglich ein eigenes Wappen in Form einer stilisierten Linde, wie sie auf dem Brunnen an der Gumpenerkreuz-Straße (heute vor dem Burgtor stehend) von 1608 überliefert und häufig abgebildet worden ist. Geführt hat. Ob dagegen das von Matthäus Merian in seinem Kupferstich von Lindenfels aus dem Jahre 1634/35 zugefügte Wappen der Realität entsprach oder seiner Phantasie entsprang ist bislang nicht zu deuten.
Günther und Marchant erwähnen ein Siegel des pfälzischen Amts bzw. Oberamts Lindenfels aus dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, das im unteren Teil einen auf einem Felsen stehende Linde, im oberen zwei Wappenschilde enthielt, „rechts der zum Grimme geschickte, jedoch linksgewendete gekrönte Löwe mit doppelknötigem Schwanze und links der geweckte Schild“ (Günther). Marchand schreibt dazu, er habe auch einen Abdruck gesehen „wo sich die beiden Wappenschilde von Kurpfalz im untern Theil des Siegels befanden, und im obern Theil der Fels mit der Linde.“
Auf die weitere Entwicklung des Lindenfelser Wappen- und Siegelwesens seit dem 19. Jahrhundert soll hier nicht eingegangen werden. Das heutige Stadtwappen, wie es bei Demandt-Renkoff und Stadler beschrieben und abgebildet ist, wurde der Stadt 1925 amtlich verliehen und ersetzte das noch von Kissel abgebildete „kurpfälzische Wappen mit einer Linde darüber“.
Die Beschreibung des gültigen Wappens lautet im Ortsnamenbuch: „In Silber auf grünem Felsen ein grüner Lindenbaum, an dessen Stamm das pfälzische Wappen, der goldene Löwe im schwarzen Felde, hängt“. Stadler blasoniert es folgendermaßen: „ In Silber auf dreiteiligem grünen Felsen eine grüne Linde, deren Stamm mit einem schwarzen Schild überdeckt ist, darin ein rot gekrönter, rot bewehrter goldener Löwe.“